Erlebnisbericht eines ehemaligen HJ-Jungen vom 13. Februar 1945.

 

von Werner Hanitzsch

 

Der 13. Februar 1945 war ein Dienstag. Es war Fasching. Hitler hatte schon lдngst den УTotalen KriegУ proklamiert, und kein Mensch dachte daran, Fasching zu feiern.

 

Der Tag begann fьr mich wie jeder andere. Es war leicht bewцlkt und relativ mild.

 

Im Gegensatz zu anderen Nдchten, wo wir mitunter zweimal in den Luftschutzkeller muяten, war die vergangene Nacht sehr ruhig verlaufen. Es gab keinen Fliegeralarm. So fuhr ich ausgeruht und guter Dinge mit der Straяenbahn Linie 22 zum Heizkraftwerk Dresden Mitte, Wettiner Platz. Dort unterhielt mein Ausbildungsbetrieb eine Dauerbaustelle, auf welcher ich grцяtenteils eingesetzt war. Was ich jedoch noch nicht wuяte: An diesem Tag sollte sich mein ganzes Leben einschneidend verдndern.

 

Wie so oft trug ich auch an diesem Tag die Uniform der Hitlerjugend, da ich ursprьnglich die Absicht hatte, nach der Arbeit reiten zu gehen. Ich war Mitglied der Reiter-HJ und verbrachte viele Abende sowie als Stallwache auch Nдchte in dem Reitstall, welcher in einem der drei Lingner-Schlцsser auf der Bautzener Landstraяe in Dresden untergebracht war. Dort muяten wir natьrlich grundsдtzlich in Uniform erscheinen.

 

In der Hitlerjugend gab es mehrere Gattungen. Da war auяer der Reiter-HJ, in welcher ich Mitglied war, noch die Flieger-HJ, die Motor-HJ und die Marine-HJ. Jeder konnte sich, seinen Neigungen entsprechend, eine Gattung aussuchen. Selbstverstдndlich war dies alles als vormilitдrische Ausbildung angelegt, aber das interessierte keinen von uns.

 

Unser Baubьro im Heizkraftwerk befand sich in einem Kellerraum. In diesem Kellergang hatten auch russische Kriegsgefangene einen Aufenthaltsraum, in welchem sie sich zu den Pausen aufhielten, wenn sie im Werk zum Arbeitseinsatz waren. Wдhrend ihrer Pausen bastelten sie dort Kinderspielzeug aus Holz und verkauften es an die Arbeiter fьr Zigaretten und Brot. Sie bewegten sich innerhalb des Werkes vollkommen frei ohne Bewachung.

 

An diesem Morgen begegnete mir in diesem Kellergang eine kleine Gruppe Kriegsgefangener. Ich war noch nicht in Arbeitskleidung und trug noch die HJ-Uniform. Einer der Gefangenen hatte eine selbstgebastelte bewegliche Spielzeugente bei sich und wollte sie mir verkaufen. Ich hatte jedoch keinen Bedarf und lehnte deshalb ab. Nach diesem Gesprдch zeigte er auf meine Arm-Binde mit dem Hakenkreuz und sagte: УDu Hitler? Hitler nicht gut, Hitler kaputt, Deutschland kaputt, bald.У Mit den Worten: УBist du verrьckt?У bin ich davongerannt und war froh, daя uns niemand gehцrt hatte. Mir war natьrlich klar, daя er fьr diese Worte sehr hart bestraft worden wдre. Da ich in meinem Inneren, trotz der gegenteiligen Entwicklung, immer noch sehr siegessicher war, trafen mich diese Worte wie ein Hammer.

 

Den ganzen Tag muяte ich daran denken. Nun war ich noch dazu mit Arbeiten der Schadenbeseitigung eines kleineren vorangegangenen Bombenangriffes beschдftigt, was meine Stimmung keinesfalls verbesserte.

 

So faяte ich den Entschluя, unbedingt etwas fьr mein Vaterland zu tun. Irgendwie wollte ich helfen. Deshalb gab ich meinen ursprьnglichen Plan, reiten zu gehen, auf und begab mich unmittelbar nach Arbeitsschluя zur Hauptdienststelle des DRK Dresden auf der Tiergartenstraяe. Dort bot ich meinen Dienst als ehrenamtlicher DRK-Helfer fьr die Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 auf dem Hauptbahnhof Dresden an. Ich wuяte, daя dort immer Helfer benцtigt wurden. Zu diesem Zeitpunkt kamen tдglich mehrere Flьchtlingszьge aus dem Osten an, um Stunden oder auch Tage spдter Dresden wieder zu verlassen. In den Zьgen befanden sich Tausende von Menschen, welche vor den heranrьckenden Russen auf der Flucht waren. Teilweise waren sie schon wochenlang unterwegs und befanden sich in einem erbarmungswьrdigen Zustand. Diesen Menschen wollte ich also in dieser Nacht helfen. Am Tage waren mir derartige Dinge nicht mцglich, denn da muяte ich ja arbeiten.

 

So erhielt ich denn an diesem Nachmittag eine DRK-Armbinde und einen Einsatzbefehl, welchen ich bei der DRK-Dienststelle Hauptbahnhof abzugeben hatte. Eine Vergьtung gab es fьr einen solchen freiwilligen Einsatz natьrlich nicht. Ich konnte nicht ahnen, was in dieser Nacht geschehen wьrde.

 

In unserem Haus wohnte die Familie Georg Klengel, welche eine kleine Reparaturwerkstatt fьr Bьromaschinen betrieb. Deshalb war in deren Wohnung ein Telefon vorhanden. №ber dieses Telefon informierte ich meine Mutter, daя ich in dieser Nacht nicht nach Hause kдme und was ich vorhatte. Verstдndlicherweise machte sich meine Mutter groяe Sorgen. Aber ich konnte sie mit dem Hinweis auf Gottes Schutz am Ende doch noch beruhigen.

 

Mit Stolz ьber den Einfall zur guten Tat meldete ich mich nun umgehend in der Dienststelle des DRK im Hauptbahnhof Dresden. Ich wurde sofort als Helfer einer DRK-Schwester zugeteilt. Wir hatten die Aufgabe, schwerpunktmдяig auf verschiedenen Bahnsteigen die Flьchtlinge mit Speisen und Getrдnken, sowie mit kleinen medizinischen Hilfeleistungen zu versorgen.

 

Gegen 21.30 Uhr heulten die Sirenen. Es war wieder einmal Fliegeralarm. In den vergangenen Jahren hatte ich schon so viele Stunden bei Fliegeralarm nachts im Keller verbracht, daя ich mich schon daran gewцhnt hatte und gar nicht mehr дngstlich war. Allerdings, diese Nacht sollte mich das Fьrchten lehren.

 

In aller Eile begaben wir uns in den am nдchsten stehenden Zug und suchten als erstes die behinderten Menschen, um ihnen in den Luftschutzkeller zu helfen. Unsere Hilfestellung wurde verstдndlicherweise sehr stark erschwert durch die anderen Leute, die ja alle versuchten, so schnell wie mцglich in den Keller zu kommen, und deshalb fast panikartig zu den Tьren drдngten. Alles schrie angsterfьllt durcheinander in dem Bestreben, seine nдchsten Angehцrigen entweder nicht zu verlieren oder wiederzufinden. Es war noch nichts geschehen, aber es herrschte bereits ein entsetzliches Chaos.

 

In der Mitte des Waggons saя ein etwa l0-jдhriges Mдdchen. Sie weinte und rief: УKann mir denn niemand helfen?У УWas ist mit dir?У fragte ich. Unter Trдnen sagte sie mir, daя sie gelдhmt sei und nicht laufen kцnne. Ich nahm sie sofort in meine Arme und trug sie in den Keller. Wдhrenddessen fielen in nдchster Nдhe die ersten Bomben. Es pfiff, heulte, knallte und splitterte entsetzlich.

 

Als sich der Bombenhagel verschlimmerte, muяten wir dann selbst im Keller bleiben. Wдhrend dieses ersten Angriffs hatten wir sehr viel zu tun, um die Menschen im Keller zu versorgen und zu beruhigen. Obwohl das starke Kellergewцlbe ein Gefьhl der Sicherheit ausstrahlte, hatten die meisten Menschen eine wahnsinnige Angst. Sie hatten ja zum Teil noch nie einen Luftangriff erlebt.

 

Nach etwa 60 Minuten war die erste Angriffswelle vorьber, und es trat Ruhe ein. Von weitem hцrte man auch ein paar Sirenen mit Entwarnung, aber sehr viele waren wohl nicht mehr in Betrieb. Wir verlieяen sofort den Keller, um den Menschen auf den Bahnsteigen, welche den Zug nicht mehr verlassen konnten, zu helfen. Die Alten und Behinderten sollten zunдchst im Keller bleiben.

 

Als wir auf den Bahnsteig kamen, bot sich uns ein Bild des Schreckens. Alles war ьbersдt mit schweren Glasscherben vom Bahnhofsdach sowie mit Stahlteilen und Trьmmern aller Art. Dazwischen lagen Tote und verwundete schreiende Menschen. Zum Teil mit schwersten Verwundungen wie abgerissene Gliedmaяen, abgerissene Genitalien und aufgeschlitzte Bдuche, wo die Gedдrme heraushingen. Es war ein Bild des Grauens. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Wir sind durch ein wahres Meer von Blut ьber die Scherben und Trьmmer gestolpert und wuяten vor Schreck nicht, was wir zuerst machen sollten. Wir versuchten dort, wo es noch mцglich war, erste Hilfe zu leisten und vor allem die Schwerstverletzten auf Tragen in die Dienststelle des DRK zu transportieren. Dafьr waren natьrlich die Rдumlichkeiten gar nicht eingerichtet. Wir muяten die Verwundeten von den Tragen herunternehmen und auf Decken auf den Fuяboden legen.

 

Es dauerte auch gar nicht lange und der vorhandene Platz war total belegt. Nun muяten wir vor der Dienststelle in der Bahnhofshalle etwas Platz schaffen und die Verwundeten dort ablegen. Inzwischen waren schon die ersten verstorben, aber niemand konnte sich um sie kьmmern. Die Verwundeten schrien entsetzlich.

 

In der Zwischenzeit waren schon lдngst mehrere Krankenwagen und Notдrzte dringend angefordert worden. Aber nichts geschah. Da mir ohnehin speiьbel war und ich etwas frische Luft brauchte, ging ich vor den Bahnhof, um nach den lдngst ьberfдlligen Krankenwagen Ausschau zu halten. Dieser Gang vor den Bahnhof bewahrte mich vor dem sicheren Tod, wie wir etwas spдter hцren werden.

 

Als ich ins Freie kam, stockte mir das Blut in den Adern. Die Prager Straяe, die Geschдftsmetropole Dresdens, stand in Flammen. Trьmmer auf den Straяen. Menschen liefen schreiend und gestikulierend durcheinander. Ich war wie benommen. Mir war sofort klar, daя an Krankenwagen oder дhnliches ьberhaupt nicht zu denken war. №berall brannte es, und kein Fahrzeug konnte den Bahnhof erreichen. Aber das Schlimmste war fьr mich das Schauspiel, welches sich am Himmel bot und mich das Gruseln lehrte. Der Himmel ьber ganz Dresden war erleuchtet von sogenannten УChristbдumenУ. Ansammlungen von Magnesiumfackeln, welche an Schirmen oder Ballons am Himmel hдngen. Diese УChristbдumeУ dienen bei einem Luftangriff als Zielmarkierungen fьr die anfliegenden Bomberverbдnde. Es war taghell. Mir stockte der Atem. Die Luft roch, als wьrden tausend Wunderkerzen brennen.

 

Wдhrend ich noch herauszufinden versuchte, ob dies wohl die Markierungen fьr den vergangenen Angriff waren oder fьr einen neuen, rannten plцtzlich alle Leute schreiend und schutzsuchend durcheinander. Einige Polizisten stьrmten mit Handsirenen durch die Straяen und alles schrie: УFliegeralarm!У Seit dem ersten Alarm mцgen etwa drei Stunden vergangen sein.

 

So schnell mich meine Beine trugen rannte ich durch die Bahnhofshalle und versuchte zunдchst die DRK- Dienststelle zu erreichen. Als ich dort ankam, fielen schon die ersten Bomben. Also sofort kehrt! Richtung Luftschutzkeller! Schon von weitem sah ich eine Riesenmenschenmenge, welche sich vor dem Kellereingang staute. Sie versuchten alle in Panik dort Schutz zu finden. Sie schrien und quetschten sich fast zu Tode. Dazwischen das ohrenbetдubende Pfeifen und Detonieren der ersten Bomben. Mir war sofort klar, daя es vollkommen sinnlos war, zu versuchen in den Keller zu kommen, zumal der Bombenhagel an Intensitдt zunahm. Intuitiv rannte ich, so schnell ich konnte, durch den nдchstgelegenen Ausgang aus dem Bahnhof. Ich dachte: УNur raus hierУ und ьberquerte die Bayrische Straяe, um in das unmittelbar gegenьberliegende Hotel УBayrischer HofУ zu gelangen. Es war das nдchstgelegene Gebдude, wo ich Schutz suchen konnte. Ich rannte um mein Leben. Die Luft war erfьllt vom Drцhnen der  Flugzeugmotoren, von dem Pfeifen und Detonieren der Bomben sowie dem Pfeifen der umherfliegenden Splitter. Es war die Hцlle.

 

Wie durch ein Wunder erreichte ich unverletzt das Hotel und stьrmte sofort in den Keller. Die Wege zu und von den Schutzrдumen waren ьberall gekennzeichnet.

 

Die Luftschutzrдume in diesem Hotel waren bereits ьberfьllt, als ich hinkam. Ich fand gerade noch Platz in einem Durchgang zwischen zwei getrennten Rдumen. Dicht gedrдngt mit einem Paar, welches sich unentwegt kьяte. Heute kann ich das verstehen. Damals fand ich das dumm und дuяerst unangebracht. Ich stand direkt unter dem Durchgangsbogen und lehnte mit dem Rьcken an der Stirnseite der Trennwand der beiden Rдume. In diesen saяen die Menschen eng zusammengedrдngt auf Bдnken und Stьhlen.

 

Der Raum zu meiner Rechten war etwa 4 m x 8 m groя. An seiner Stirnseite befand sich ein Notausstieg. Dieser war mit einer Stahlschotte verschlossen und hatte eine Grцяe von etwa 1,2 x 1,2 m. Dieser Ausstieg befand sich in der oberen Hдlfte der Wand und war ьber eine davor stehende Stiege erreichbar.

 

Nach ca. 20 Minuten Bombenhagel brach die Stromversorgung zusammen, das Licht verlosch. Einige Not- und Taschenlampen leuchteten auf. Angst und Entsetzen stand auf allen Gesichtern. Die Intensitдt des Bombenhagels nahm stдndig zu. Ich gewann den Eindruck, daя jetzt die Welt untergeht.

 

Mit ohrenbetдubendem Lдrm gingen plцtzlich Luftminen auf den Bahnhof nieder. Die Druckwellen waren auch bei uns noch sehr stark. 0 mein Gott, dachte ich bei mir, laя diesen Kelch an mir vorьber gehen. Ich wuяte von meiner Ausbildung her, daя es dort, wo eine Luftmine niedergeht, keine Rettung gibt. Der entstehende Druck ist so stark, daя den Menschen die Lungen platzen.

 

Vom Treppenaufgang her kam die Meldung, daя das Gebдude ьber uns vermutlich zerstцrt sei. Der Eingang sei verschьttet, dort gab es kein Entkommen mehr. Einige Leute drдngten darauf, sofort ьber die Notausstiege den Keller zu verlassen, bevor er einstьrze. Andere wiederum hielten sich zurьck, denn im Keller sei es z. Zt. immer noch sicherer als drauяen im Bombenhagel. Ich war mir nicht im klaren, was besser war. Hatte aber fьrchterliche Angst, in diesem Keller verschьttet und damit lebendig begraben zu werden.

 

Die Entscheidung sollte uns sehr schnell abgenommen werden. Plцtzlich gab es eine wahnsinnige Detonation, welche alles bis dahin Erlebte ьbertraf. Im gleichen Moment wurde die Stahlschotte des Notausstieges zu meiner Rechten aus den Angeln gerissen und flog, total deformiert, wie ein Geschoя durch den Schutzraum. Die Wucht war so stark, daя sich diese Stahltьre in die 8 m entfernte gegenьberliegende Wand bohrte. Die Druckwelle der Detonation hatte alle stehenden Leute umgeworfen. Ich lag auf dem Boden und andere Leute auf mir. Plцtzlich ertцnte ein Schrei: УPhosphorУ. Phosphor ist eine Flьssigkeit, welche sofort brennt, wenn sie mit Sauerstoff in Berьhrung kommt. Sie flieяt also brennend und entzьndet alles, was ihr in den Weg kommt. Es ist sehr schwierig, Phosphor zu lцschen. Gieяt man Wasser darauf, brennt er um so schlimmer. Man kann ihn also nur mit Sand abdecken und ersticken.

 

Wer noch konnte, sprang auf. So auch ich. Im Keller bot sich mir ein Bild des Grauens. Mich packte das kalte Entsetzen. Selbst in meinen ьbelsten Alptrдumen und Phantasien wurde ich noch nie mit дhnlichen Bildern konfrontiert. Die durch den Raum fliegende Stahltьre hatte auf ihrer Bahn den dort sitzenden Leuten den Kopf abgerissen. Diese entsetzliche Szene wurde beleuchtet von einigen Notlampen und von dem brennenden Phosphor, welches durch die Ausstiegsцffnung in den Keller strцmte.

 

Der Schock lдhmte in mir jeden klaren Gedanken. Was jetzt kam, waren Reflexe der Selbsterhaltung, welche ohne jede №berlegung abliefen. Ich sprang durch die blutenden Menschen bzw. Menschenteile und drьckte mich seitlich von dem brennenden Phosphorfluя durch den Notausstieg ins Freie. Dies gelang mir, ohne mit dem Phosphor in Kontakt zu kommen.

 

Ich erreichte den Hof des ehemaligen Hotels, welcher mit Trьmmern verschьttet war. Ringsum brannte alles! Die Hitze versengte mir Kleidung und Haare.

 

Der einzige Weg zur Straяe fьhrte durch einen ca. 6 m langen Torweg, welcher zu dieser Zeit noch stand, aber allseitig brannte. Durch diesen brennenden Torweg rannte ich um mein Leben. Auf der Straяe brannte der Asphalt! Der gesamte Hauptbahnhof beziehungsweise was davon noch ьbrig war stand in hellen Flammen. Ich wendete mich nach rechts, um den Bayrischen Platz zu erreichen.

 

Nach wenigen Metern kam mir ein Mann entgegen, drьckte mir ein schreiendes Kind im Alter von etwa zwei Jahren in den Arm und rannte weiter. Mir blieb keine Zeit zum Nachdenken und Reagieren, ich stьrmte mit dem Kind im Arm weiter. Nach etwa 50 m kam mir eine Frau entgegen, welcher ich ebenso das Kind im fliegenden Wechsel in den Arm drьckte und weiterstьrmte.

 

Der Bayrische Platz befindet sich unmittelbar neben dem Sьdteil des Hauptbahnhofes und existiert heute noch. Es ist ein ca 150 x 150 m groяer freier Platz mit Wiesen und ein paar Wegen. Instinktiv rannte ich zu diesem Platz, um aus dem tobenden Flammenmeer herauszukommen. Es war die einzige Rettungsmцglichkeit.

 

Der Bombenhagel lieя nach, die Bomberverbдnde drehten ab. Nur hin und wieder detonierte ein Spдtzьnder. Rings um den Platz war haushohes Feuer. Die Hitze war so groя, daя man es nur in der Mitte des Platzes einigermaяen aushalten konnte. Wir waren etwa 16 Personen, welche sich dorthin retten konnten.

 

Durch die enorme Hitze der riesigen Brдnde wurde ein entsetzlicher Feuersturm ausgelцst. Dieser verursachte nicht nur einen wahnsinnigen Funkenflug, sondern trieb faustgroяe glьhende Stьcken wie Geschosse durch die Luft. Wir legten uns flach auf den Boden, um von mцglichst wenigen dieser glьhenden УGeschosseУ getroffen zu werden. Auяerdem war so die Hitze am ehesten zu ertragen. Jeder muяte auf seinen Nachbarn achtgeben. Sobald einer getroffen wurde, fing er an zu brennen. Sofort hat sich ein anderer auf ihn geworfen, um mit seinem Kцrper die Flammen zu ersticken. Zeitweise lagen mehrere Personen ьbereinander, um sich gegenseitig zu schьtzen. Nur so konnten wir ьberleben.

 

Ich weiя nicht mehr, wieviel Stunden wir so gegen den Funkenflug kдmpften. In einer solchen Situation geht jedes Gefьhl fьr Zeit verloren, da man jede Sekunde mit дuяerster Konzentration um das №berleben kдmpft. Man spьrt weder Schmerz noch Hunger. Alles lдuft ab wie in einem ьblen Traum.

 

Etwa zwischen 4 und 5 Uhr morgens setzte ein leichter Nieselregen ein, welcher uns etwas Erleichterung brachte.

 

Als es endlich hell wurde, bot sich uns ein unvorstellbares Chaos. Rings um uns herum, soweit wir sehen konnten, eine unendliche rauchende und brennende Trьmmerwьste. Die Straяen waren meterhoch zugeschьttet und mir noch an einigen einzelnen, noch stehenden Fassaden zu erkennen.

 

Keiner von uns wuяte so recht, wohin er sich nun wenden sollte. Jeder hatte nur wahnsinnige Angst um sein Zuhause und seine Angehцrigen. Ich sagte zu meinem Nachbarn: УAuf alle Fдlle muя ich erst noch in den Bahnhof, um nach meiner Dienststelle zu sehen und mich abzumelden.С

 

УKomm zu dir, JungeУ, antwortete er, Уschau zum Bahnhof, glaubst du wirklich, daя dort noch jemand lebt? Sei froh, daя du dort ьberhaupt noch rausgekommen bist. Versuch dein Zuhause zu erreichen.У Nach diesen Worten wurde mir erst bewuяt, daя dort wirklich keiner mehr am Leben sein konnte und daя nur der Umstand meines Verlassens des Bahnhofes vor dem Angriff mir das Leben gerettet hat.

 

So entschloя ich mich, in Richtung Sьden ьber die Trьmmerberge zu klettern. In dieser Richtung lag Dresden-Plauen.

 

Etwa nach 15 Minuten sah ich 50 m vor mir eine Gruppe von vielleicht 12Ч15 Personen, welche ebenfalls in meiner Richtung ьber die Trьmmer kletterten. Plцtzlich sah ich, wie sich  eine neben der Gruppe hochragende Fassade eines vierstцckigen Hauses neigte. Mir blieb fast das Herz stehen. Ich habe wahnsinnig geschrien und mich, wie im Reflex, automatisch hinter einen Mauerbrocken in Deckung geworfen. Mein Schrei ging in dem Getцse, mit welchem die Wand herniederprasselte, unter. Die gesamte Gruppe wurde darunter begraben.

 

Als sich der Staub verzogen hatte, war nichts mehr zu sehen Mir zitterten die Knie und ich brauchte eine geraume Zeit, bis ich in der Lage war. weiterzugehen.

 

Von da an habe ich genau alle Mauerreste vor mir beobachtet und versucht, grцяeren Fassaden auszuweichen. Es war gut, daя ich so vorsichtig war. Ich habe auf meinem Weg noch sechs Einstьrze erlebt. Dies hatte natьrlich zur Folge, daя ich kreuz und quer klettern muяte, um nicht erschlagen zu werden. So benцtigte ich fьr einen Weg, welchen ich im Normalfall in 30 Minuten zurьckgelegt hдtte, etwa 6 Stunden. Auch hatte ich zeitweise die Orientierung verloren und wuяte nicht, in welcher Richtung ich weiterklettern sollte. Die Luft war geschwдngert mit beiяendem Brandgeruch und Staub. Die Augen brannten mir wie Feuer und das Atmen fiel mir sehr schwer.

 

Endlich, gegen Mittag, erreichte ich Dresden-Plauen. Auf der Altplauen, eine Straяe in der Nдhe unserer Wohnung, kam mir meine Schwester Ursula entgegen. Sie hat mich nicht erkannt und lief an mir vorьber. Erst als ich sie ansprach, erkannte sie mich. Dies war auch nicht verwunderlich. Meine Kleidung war total zerrissen und versengt, die Haut ruяgeschwдrzt und zerschunden. Haare, Wimpern und Augenbrauen verbrannt. Die Augen waren rot unterlaufen und verquollen. So bot ich ein Bild wie von einem, der direkt aus der Hцlle kam. Aber die Freude, daя wir noch alle am Leben waren, ьberdeckte alles andere.

 

Unser Haus stand zum Glьck noch. Es hatte natьrlich auch allerhand abbekommen. Die Fenster zertrьmmert, das Dach abgedeckt und Brandschдden durch Stabbrandbomben im Dachstuhl. Jedoch war dies alles reparabel.

 

Viele Menschen hatten sich wдhrend des Luftangriffes an die Elbwiesen gerettet. Dort sind sie am nдchsten Tag von Tieffliegern wie die Hasen gejagt und abgeschossen worden. Ich konnte es nicht fassen. Das hatte nichts mehr mit Krieg zu tun. Das war ein Abschlachten unschuldiger Menschen. In mir entwickelte sich ein tiefes Haяgefьhl und ich schwor mir, diese Menschen zu rдchen.

 

Aus dem Hauptbahnhof und seinen Kellern ist niemand lebend herausgekommen. Die Toten, welche man in den nдchsten Tagen aus dem Keller geholt hat, waren unversehrt. Sie hatten alle eine dunkelblaue Hautfarbe und ein Blutrinnsal am Mund. Ein Zeichen fьr die geplatzten Lungen durch die Luftminen.

 

Es wurden einige tausend solcher Leichen aus  dem Bahnhof geholt und neben demselben auf der Bayrischen Straяe auf einer Lдnge von etwa 200 m, einer Breite von 6 m und einer Hцhe von etwa 4 m aufgeschichtet.

 

Tausende Tode lagen auf Dresdens Straяen herum. Die Luft war erfьllt von dem Gestank verwesender Leichen.

 

In der Folgezeit wurden dann mehrere tausend Leichen auf dem Altmarkt in Dresden von einer Spezialeinheit mit Flammen- werfern verbrannt. Parallel dazu wurden einige tausend Tote auf dem Heide-Friedhof in Dresden in Massengrдbern beigesetzt. Dies war die einzige Mцglichkeit, um die akute Seuchengefahr zu beseitigen.

 

Aufgrund der vielen Flьchtlinge, welche sich zu diesem Zeitpunkt in Dresden befanden, war es bis zum heutigen Tag nicht mцglich, die genaue Zahl der Todesopfer zu ermitteln. Die Schдtzungen liegen bei etwa 60 000.

 

 

 

Das Buch УMEIN LEBEN IM WANDEL DER ZEITENФ, (ISBN 3-89009-883-5) , aus dem dieser Ausschnitt stammt, ist zu beziehen ьber den Buchhandel oder den Autor: Werner Hanitzsch, Schmьckebergsweg 17, 34576 Homberg / Efze, Tel. 05681-3029.

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