Augenzeugenbericht
einer jungen Frau. Nach
gegebenem Alarm suchten wir sofort unseren Keller auf, muяten denselben
aber Stunde nach Einsetzen des Bombardements verlassen, da bereits dichter
Qualm in unseren Schutzraum eindrang. Der Hofausgang unseres Kellers war
bereits verschьttet, also hieя es wohl oder ьbel den Hauseingang
benutzen. Das Verlassen des Kellers verlief trotz der Schwere des
Unglьcks vollkommen diszipliniert und ohne jede Panik, jeder war ernst
und gefaяt. Das Haus brannte lichterloh vom Boden bis zur Haustьr.
Drauяen war bereits die Hцlle los. Die Losung lautete: Deckung, Deckung.
Wir sind deshalb in eine kleine Bedьrfnisanstalt geflьchtet. Dieselbe
besteht aus einem Vorraum, drei Toiletten und einem Wдrterzimmer. Die
Auяentьr zu dieser Anstalt war bereits herausgeschleudert worden. Nach
wenigen Minuten war die gesamte Toilette von flьchtenden Menschen (ca. 80
bis 100 Personen) ьberfьllt. Mein Mann und ich hatten in der mittleren
Toilette Unterschlupf gefunden. In
den ersten 10 Minuten war die Luft noch ertrдglich, doch dann wurde es
heiяer und heiяer. Die ersten Schreie ДWir erstickenУ und ДWasser,
WasserУ tцnten auf. Was sollten wir tun? Sollten wir den Erstickungstod
erleiden oder drauяen in dem Flammenmeer umkommen? Mein Mann tat das
nдchstliegende. Er stellte sich auf den Beckenrand des Klosetts und
untersuchte den Wasserkasten. Zur groяen Freude aller war in diesem
Kasten Wasser, die beiden Kдsten in den anderen Toiletten fielen aus.
Mein Mann hat dann ungefдhr eine halbe Stunde auf dem Beckenrand
gestanden und nur Tьcher naя gemacht, ohne dabei an sich selbst zu
denken, obwohl die Luft unter der Decke brennend heiя war. Groяe
Tьcher, die man ihm hinreichte, zerteilte er mit seinem Taschenmesser,
damit jeder eins abbekam. Wir alle hofften nun, daя das schlimmste
ьberstanden sei, denn nur Wasser und nochmals Wasser konnte unsere
Rettung sein. Aber
es sollte noch viel schlimmer kommen. Zu unserer aller Unglьck fiel ein
groяer Phosphorkanister direkt auf die Schwelle des Klosetteingangs - die
Tьr fehlte schon. Der Menschen in dem Vorraum bemдchtigte sich eine
nicht zu beschreibende Panik. Als Deckung wurden die inneren
Toilettentьren herausgerissen und vor den Kanister gestellt. Nach einigen
Minuten brannten auch diese lichterloh. Fьrchterliche
Szenen spielten sich ab, sahen wir doch alle unseren sicheren Tod vor
Augen, denn der einzige Ausgang war ein Flammenmeer und wir waren gefangen
wie die Maus in der Falle. Die Tьren wurden von den schreienden Menschen
in den Kanister geworfen und noch mehr Qualm und Hitze drangen ein.
Wдhrenddessen war das Wasser im Kasten auch ausgegangen. Mein Mann
durchschlug nun mit letzter Kraft mit seinem Taschenmesser das zum Kasten
fьhrende Rohr in der Annahme, daя noch Wasser kдme. Er wollte dann
alles ьberspьlen. Leider vergebens. Er war jetzt vollkommen fertig, und
wir hockten uns neben das Becken. Die anderen Menschen im Vorraum setzten
sich auch hin und wurden ohnmдchtig, um nie wieder zu erwachen. Drei
Soldaten gaben sich den Gnadenschuя. Da die Flammen der inzwischen
brennenden Menschen auf uns ьberzugehen drohten, bat ich meinen Mann,
diese mit unserer Schlafdecke - neben unseren Papieren der einzige
gerettete Gegenstand - auszuschlagen. Er war hierzu nicht mehr in der
Lage. Unter Aufbietung meiner letzten Kraft habe ich es dann getan. Mein
Haar begann zu sengen, und mein Mann lцschte es mir. Wir haben uns dann
ein paar Augenblicke ьber dem Becken gehangen und uns entschlossen,
ungeachtet evtl. auftretender Krankheiten unsere Tьcher in dem Ausguя
naяzumachen. Auch dieses Wasser war nach wenigen Minuten verdunstet. Was
nun? Unser Herz ging rasend schnell, unsere Gesichter begannen aufzudunsen
und die Ohnmacht war nicht mehr fern. Vielleicht noch 5, vielleicht noch 8
Minuten, dann war es auch bei uns vorbei. Auf
meine Frage: ДWilly, soll das das Ende sein?У faяte mein Mann den
Entschluя, alles auf eine Karte zu setzen und unter allen Umstдnden ins
Freie zu gelangen. Wir waren so oder so verloren. Ich nahm die Decke, mein
Mann das Kцfferchen. Schnell und doch vorsichtig, damit wir auf den
Leichen nicht ausrutschten, ging es ins Freie. Ich vorweg, mein Mann
hinterher. Eins zwei drei waren wir durch das Flammenmeer. Es war
geglьckt. Beide ohne Brandwunden, nur angebrannte Schuhe. Aber unsere
letzte Kraft und unser letzter Mut waren fьr die erste Stunde dahin. An
einer Wasserstelle haben wir uns flach auf die Erde gelegt, da wenige
Zentimeter ьber dem Boden noch Erstickungsgefahr drohte. Im Wasser
liegende Menschen haben uns unsere Tьcher naяgemacht. Nach einigen
Minuten legte sich eine Frau dazu, die meinem Mann fьr seine Aufopferung
dankte. Dieselbe und noch einige andere Personen, die in der Toilette noch
lebten, sind Ч unserem Beispiel folgend Ч auch noch aus der
Bedьrfnisanstalt geflohen. Unserer Schдtzung nach dьrften nicht mehr
als 10 bis 20 Menschen lebend herausgekommen sein. Hier
lag auch eine Frau, deren Arme und Beine genau da verbrannt waren, wo sie
meines Erachtens nach seidene Bekleidung getragen hat. Die Hilfe- und
Jammerschreie dieser Frau wurden unertrдglich, und so ist denn mein Mann
wieder herumgelaufen und hat Bretter gesucht, um die verbrannten Glieder
hцher zu legen und so Linderung zu verschaffen. Gegen
9 Uhr wollten die schwimmenden Menschen aus dem Wasser. Aber wie? Das
Bergungsmanцver war дuяerst schwierig, denn das Wasser stand sehr
niedrig und zum Teil handelte es sich um korpulente Frauen, die wir nun,
mein Mann. an der einen, ich an der anderen Seite, mit den Hдnden
herauszogen. Schдtzungsweise haben wir 20 Menschen aus dem Wasser
geholfen. U. a. war eine Frau dabei, die in den nдchsten Tagen ihrer
Niederkunft entgegensah. Da
auch hier drauяen die Wassernot die grцяte aller Sorgen war, versuchten
mein Mann und ich abwechselnd, mit einer schweren Eisenstange den
Hydranten entzwei zu schlagen, um Trinkwasser zu erhalten. Doch dieses
Unternehmen miяlang. Sonderbar
waren der Tag, der nach dieser Nacht heraufzog. Das Tageslicht kam nicht
auf gegen den finsteren Qualm der Brдnde. Ein erregendes Zwielicht
entstand und legte sich noch bedrьckender auf die herumirrenden Menschen.
Ja, diese Menschengesichter! Grau, todmьde und trotzdem bis zum letzten
angespannt; entzьndete Augen, borkige Lippen Ч und selbst in den
Gesichtern kleiner Kinder etwas Greisenhaftes, keine Furcht eigentlich,
etwas anderes, gleich der grenzenlosesten Erschцpfung. Ich
bin in der schweren Zeit nach jedem Angriff mit dem Fьhrer des
Instandsetzungsdienstes im Wagen unterwegs gewesen. Wдhrend dieser
Fahrten durch glьhende Straяenzьge spannte sich jeder Nerv. Sie waren
nicht immer einfach und es gehцrten schon die Fahrkunst und die
Unerschьtterlichkeit Dr. M.s dazu, um immer wieder heil dort
herauszukommen, wo man sich nun wirklich rettungslos festgefahren hatte.
Und es kam damals auf ein paar Trьmmer nicht an. Sie wurden genommen und
Dr. M.s Wagen leistete Erstaunliches. Aber
manchmal ging es eben wirklich nicht mehr, dann muяte rьckwдrts
gefahren oder auf unvergleichlich engem Raum gewendet werden, und manchmal
war dann auch der hinter uns liegende Weg durch stьrzende Trьmmer fast
unpassierbar geworden. Dort, wo es notwendig war, wurde angehalten. Einmal
trafen wir ein paar verwirrte Menschen, die sich in eine Straяenbahn
geflьchtet hatten. Rechts und links brannten die Hдuserreihen und so
glaubten sie sich in der Mitte der Straяe am sichersten. Dr. M. holte sie
heraus, rettete sie vor der furchtbaren Gewalt der Strahlhitze, sprach
ihnen gut zu und brachte sie in einem glьcklicherweise dort stehenden
Kraftwagen unter, den irgend jemand zu fahren verstand. Dr.
M. war ьberall. Und ьberall trafen wir auf vцllig verschmutzte Mдnner
in zerrissenen, verbrannten Uniformen. Unerschьtterlich standen sie im
Einsatz, wenn ihnen auch die ungeheure Erschцpfung von der Stirn
abzulesen war. Aber wer kam in dieser Zeit auf den Gedanken, Rьcksicht
auf sich selbst zu nehmen, da fьr Dresden alles auf dem Spiele stand. Aus
vielen der inzwischen eingegangenen Erlebnisberichte ist zu entnehmen, was
die Mдnner der Polizei, Polizeireserve und Luftschutzpolizei in diesen
Tagen geleistet haben und wieviel tausend Menschen ihnen und ihrer
rechtzeitigen Hilfeleistung das Leben verdanken. Was sie vollbracht haben,
bezeugt die Tat. Wo
Dr. M. auftauchte, immer mit einem kernigen, gutgemeinten Wort, da
strafften die Mдnner wieder die Rьcken. №berall war es das gleiche
Bild. Er war auch nicht aus der Ruhe zu bringen und rettete jede
Situation. In der brennenden Unterkunft der Technischen Nothilfe waren
Fahrzeuge zu retten, unter anderen auch ein Raupenschlepper, der den Namen
Уder wilde EselФ fьhrte, und das zu Recht. Inmitten von Glut, Rauch
und unertrдglicher Hitze bemьhte sich der Fahrer diesen nach allen
Seiten bockenden УEselФ in Sicherheit zu bringen. Aber erst, als Dr.
M. sich als Lotse einschaltete, wurde es geschafft. Unvergeяlich
wird mir auch das folgende Erlebnis bleiben: Dr. M. hatte die Absicht, zur
Unterstьtzung des Einsatzes der Feuerschutzpolizei nach dem ersten
schweren Angriff die genaue Feuerlinie abzufahren und festzulegen. Also
stiegen wir in den Wagen. Ich hatte eine Karte von Dresden auf den Knien.
Dr. M. sagte die Straяen an und ich zeichnete unseren Fahrtweg ein. Wir
hielten uns immer rechter Hand zum Feuer und fuhren so nahe heran, wie es
irgend mцglich war, manchmal auch hinein; dann muяte mьhsam ein
Rьckzugsweg gesucht und gefunden werden. Die
Fenster des Wagens waren fest geschlossen, damit Funkenflug und
Strahlenhitze uns nicht gefдhrden konnten. Zwei lange Stunden waren wir
unterwegs, fuhren vorbei an den Zьgen der Flьchtlinge, sahen Straяenzug
um Straяenzug brennen und Haus um Haus vernichtet. Lдngst war es Morgen
geworden, aber ьberall lastete auf den durchfahrenen brennenden
Stadtteilen noch die Dunkelheit. Irgendwo
machte dann der Wagen zum erstenmal die tolle Fahrt nicht mehr mit. Man
konnte kaum die Hand vor Augen sehen, der Aschenregen verschmierte die
Fensterscheiben, und so war uns ein Mauerbrocken unter die Vorderrдder
geraten, der sich trotz aller Mьhe, allen Schiebens und Stoяens nicht
beseitigen lieя. Hдtte Dr. M. einen krдftigen Mann und nicht ein
Mдdchen in seiner Begleitung gehabt, dann wдre alles vielleicht
einfacher gewesen. So versuchten wir also mit vielem Kraftaufwand den
Wagen in einige Sicherheit zu zerren und setzten dann unseren Weg zu Fuя
fort; die wertvolle Karte hatte ich, um sie vor dem steten Funkenregen zu
schьtzen, in meine Uniform geschoben. Dr.
M. trug unsere Stahlhelme und Gasmasken. Die abgeschlossene eilige Meldung
brannte Dr. M. in den Hдnden. Wie aber jetzt irgendwo an ein Fahrzeug
herankommen, das uns zur Befehlsstelle zurьckbrachte. Schlieяlich
stieяen wir auf ein LS-Revier und bekamen dort nach kurzer Hin- und
Widerrede zwei Fahrrдder. Auf Rдdern ging es weiter, dauernd den
sicheren Plattfuя vor Augen, ьber Trьmmer, an herunterhдngenden
Drдhten vorbei, unter brennenden Hдusern hindurch. Alles ging solange
verhдltnismдяig gut, bis wir an eine Brьcke kamen, die zerstцrt war.
Die Rдder muяten liegengelassen werden, irgendein LS-Pol.-Mann wurde
beauftragt, sie zurьckzubringen, und dann kletterten wir die Bцschung
hinunter, ьber die einstmals die Brьcke gefьhrt hatte, und stiegen an
der anderen Seite wieder hinauf. Ein
ganzes Stьck ging es zu Fuя weiter, bis Dr. M. einen allerdings
vollbesetzten Wagen erspдhte, der von einem politischen Leiter gefahren
wurde. Der Wagen muяte anhalten, nach einer kurzen Erklдrung drдngten
wir uns auch noch hinein und dann ging es zum Bunker, wo Dr. M. dem
General seine Meldung zur sofortigen Auswertung ьberreichte. Nach
dem zweiten schweren Angriff trat ein fьr Dresden erstmaliges Ereignis
ein: Leichen von Menschen, die versucht hatten, noch aus dem Flammenmeer
zu entkommen und ihre Schutzrдume verlassen hatten, bedeckten zu
Hunderten die Straяen. Welche
Ursache ihnen den Tod gebracht hat, ist bis heute noch nicht ganz
geklдrt. Ich sah diese Bilder zum erstenmal, als wir uns aufmachten, um
zwei meiner Kameradinnen zu suchen, die mitten im Feuersturmgebiet gewohnt
und dort den Tod gefunden hatten, als sie nach dem anstrengenden Dienst
der vorangegangenen Tage und Nдchte fьr diese eine Nacht nach Hause
fuhren, um sich einmal auszuschlafen. Wir haben sie nie wieder gesehen. Die
Hitze der immer noch glimmenden Feuer lag ьber der toten Stadt. Schwer
mischte sich der Brandgeruch mit dem sьяlichen Dunst der Verwesung.
Ruinen, Ruinen Ч so weit das Auge sah. Trьmmer auf den Fahrbahnen,
gestьrzte Fassaden, weit fortgeschleuderte Steinbrocken an
Straяenrдndern, verkohlte Bдume, zerfetzte Gдrten. Darьber die weisse
Februar-Sonne. Sie machte es noch deutlicher, dieses Bild unendlichen
Jammers und grauenhafter Verwьstung. Immer behielt man das Krachen neuer
Einstьrze und das Knistern der fressenden, unersдttlichen Brдnde im
Ohr. Arme,
schцne, geliebte, geschundene Stadt! Wortlos blieb der Mund. Heiя
stieg es auf zu den entzьndeten, schmerzenden Augen. Dieses Bild schon
genьgte, um das Herz fast unertrдglich zusammenzupressen. Was dann kam,
war ohnmдchtiges schьttelndes Grauen. Die Straяe war voller Menschen.
Sie hockten auf den Treppenstufen der Bцschung, sie saяen an Bдume
gelehnt, sie lagen mit hilfeheischend aufgereckten Armen auf dem Pflaster.
Tote, nur Tote. Viele von ihnen hatte die Glut in phantastische,
irrsinnige Stellungen gezwungen. Langsam und wie an
Ketten ging der Blick von den verrenkten Gliedern zu den nicht mehr
menschlichen, in ihrer Grauenhaftigkeit drohenden Gesichtern. Aufgerissene
Mьnder, hervorgequollene Augen Ч Antlitze, aus denen in einem letzten,
ungelцsten Krampf ein ungeheuer gewaltiger Schrei aufstieg in
schmerzender bedrдngender Anklage. Durch
die Gassen der Toten fuhren wir weiter hinein in das Zentrum. Bald muяten
wir den Wagen stehen lassen. Den
letzten Rest des Weges durch kleine, enge, verschьttete Straяen gingen
wir zu Fuя, kamen auf einem kleinen freien Platz. Niemals
mehr werde ich das Bild vergessen Ч dort ьberall lagen sie,
hundert oder mehr, Mдnner und Frauen, Soldaten in Uniform, Kinder,
Greise; viele hatten sich in der mordenden Glut und kurz vor ihrem Tode
die Kleider vom Leibe gerissen. Sie waren nackt, ihre Kцrper schienen
unversehrt, die Gesichter trugen friedliche Spuren eines tiefen Schlafes.
Andere Leiber waren kaum noch zu erkennen, verkohlt, zerfetzt, mit
zerschmetterten Hдuptern. Wir
gingen durch die Reihen der wahllos verstreut liegenden Leichen und
suchten, suchten unsere Kameradinnen. Wir sahen in jedes Gesicht,
wie in einen Spiegel; einen Spiegel des Unfaяbaren, des
Unbegreiflichen, der Ewigkeit. Was lag auf den Stirnen, was in den Augen,
was hielten die verkrampften Hдnde, was riefen die geцffneten Lippen,
was warf die Sonne noch ein letztes Glanzlicht auf aufgelцstes Haar?
Kein
Herz kann schlagen bei solchem Sehen. Es zuckt und flattert, und nur die
Furcht vor dem Schwindel hдlt gerade, die Furcht davor - ausgelцschten
Bewuяtseins - mitten hineinzusinken in diese, in der Hitze flirrende,
sich hebende und senkende Flut der Toten. Wir
gingen zurьck, als seien wir mit Mьhe entkommen; zurьck zu lebenden
Menschen, zu Stimmen, zu unerstarrten Augen. Ich wдre gern gelaufen,
schnell und atemlos, neu aufgerafft nach jedem Sturz ьber die hindernden
Trьmmer. Frost kam mitten aus der grцяten Brand-Hitze des Tages und
schьttelte. Der Geruch der Verwesung hing uns an, und wir trugen ihn mit
in den Kleidern und im Herzen wohl auch. In
einer dieser kleinen engen Straяen stand vor einem der
zusammengestьrzten Hдuser mit den verschьtteten Kellern ein Soldat und
rief; immer wieder rief er mit einer selten fernen und hohen Stimme: ДMutti!
Ч Ursula! Ч Mutti! ЧUrsula!У Mein Begleiter ging auf ihn zu und
sprach ihn an. Hier konnte kein Leben mehr sein Hier war nur noch der Tod.
Warum das Rufen? Ч Aber kann man das einem Menschen sagen, dem der
Irrsinn aus den Augen sieht? Kann man diese kleine winzige, selbst nicht
geglaubte Hoffnung noch rauben, an der ein Menschenherz sich mьhsam
aufrecht hдlt? Kann man vom Tod noch sprechen, wo der Andere ihn schon
weiя, und sich nur noch eine Weile, eine kleine Weile, bis alles
ьberwunden ist, selbst betrьgen mцchte? Der
Soldat sah uns an, als seien wir Luft. Er sei auf Urlaub gekommen, heute.
Er suchte seine junge Frau und sein Kind. Sie seien sicher im Keller und
wьrden ihn hцren. Er wьrde sie schon ausgraben. Ja, sicher, er sei doch
stark, und seine Frau warte auf ihn. Vorsichtig versuchten wir den Mann zu
bewegen, daя er uns doch folgen und mit uns in die Stadt fahren mцge.
Aber er hцrte uns gar nicht. Er wandte sich ab, und als wir weitergingen,
weitergehen muяten, hцrten wir ihn noch lange hinter uns rufen: ДMutti!
Ч Ursula!У An
einer anderen Straяenecke stand ein Mann und suchte unter den
zusammengetragenen, aufgehдuften Leichen. Trдnen liefen ihm schwer und
in kleinen Bдchen ьber ein vollstдndig unbewegtes Gesicht. Er war mit
seiner Frau zusammen in der hцchsten Not aus dem Luftschutzraum
geflьchtet. Sie hatten sich an der Hand gehalten. Dann war die Frau
gestьrzt, und in irrsinniger, panischer Angst war der Mann davongelaufen,
ohne sich umzusehen. Nun suchte er die Tote und fand sie nicht. Kinder
irrten und riefen nach den verbrannten Eltern. Mьtter saяen wie
versteinert am Wegrand und warteten, daя man ihnen den Sohn bringen
wьrde, oder die Tochter. Lange Wochen nach diesem fьrchterlichsten der
Angriffe noch irrten sie herum und suchten und hofften und suchten - und
waren wie aus Stein. Groя
und unbeschreiblich war das Elend der Toten. Unbeschreiblicher und mit
keinem menschlichen Maя mehr zu messen, das der Lebenden. Sie hдtten
gern getauscht und das Leben fьr den Tod gegeben. In ihren Augen stand
es. Und wenn auch einmal diese Augen und Hдnde und diese Schritte
aufhцren werden zu suchen, ihr Herz wird es nie. Tag
fьr Tag und Stunde um Stunde rollten die mit Chlorkalk weiя
ьberstдubten Lastwagen mit ihrer schaurigen Fracht dem Altmarkt zu, wo
sie in einem grossen Haufen verbrannt wurden. Die Reste wurden spдter,
zusammen mit weiteren, unter den Trьmmern geborgenen Leichen, in einem
groяen Massengrab bestattet. Hunderte, Tausende, Zehntausende wurden
dicht an dicht gelegt. Mit nackten Oberkцrpern standen Ostarbeiter und
KZ-Hдftlinge und gruben und gruben in der sengenden, vergifteten Hitze,
und ihre Spaten waren nicht schnell genug, allen denen Platz zu schaffen,
die kamen und kamen... Wacholderbьsche wurden verbrannt und warfen ihren
scharfen, stechenden und so wohltuenden Geruch ьber die gefьllten
Gruben. Nicht einmal die furchtbarste Seuche der vergangenen Jahrhunderte,
nicht einmal die Pest schlug in einer einzigen Nacht Zehntausende zu Tode. Tag
fьr Tag und Stunde um Stunde bargen die Mдnner der Luftschutzpolizei mit
den ihnen zur Hand gegebenen KZ-Hдftlingen die Leichen. Zuerst wurden die
Toten von den Straяen gerдumt, dann begann man die offenen und leicht
zugдnglichen Luftschutzkeller zu leeren, in denen die Menschen in den
Tod, dem sie nicht mehr rechtzeitig durch die gewaltigen Flдchenbrдnde
zu entfliehen wagten, hineingeschlafen waren. Dort, wo das Kohlenoxyd
wirksam gewesen war, saяen die Menschen friedlich um den Tisch und lagen
ebenso friedlich auf den Luftschutzbetten. Dort, wo das Feuer in die
Luftschutzrдume eingedrungen war, wurden verkohlte №berreste, Knochen
und Asche geborgen. Grauenhafte Szenen der Verzweiflung und wildester
Raserei mьssen sich hier abgespielt haben; Szenen, von denen sich
wahrscheinlich niemand ьberhaupt ein Bild machen kann. Leichen
fanden sich in den sorglich durchsuchten Randtrьmmern. №berall Leichen,
ьberall Tod. Viele Mдnner der Polizei und Luftschutzpolizei haben wir
gesprochen, die inmitten der geborgenen Leichen plцtzlich auf irgendeine
wiesen und sagten: ДDas war meine Frau!У Ч ДDas war meine Mutter!У
Ч ДDort liegen meine Schwiegereltern!У Dieses Leid fand keine Worte
der Klage mehr. Wie
ein Alpdruck hat es damals ьber uns allen gelegen. Auch die, die selbst
in diese Gebiete nicht gekommen waren, spьrten ьberall den Tod. Das
Atmen wurde schwer. Neben
dem Tod aber stand das Leben. Es geschah ein Wunder in der Дtoten StadtУ:
Ende Februar, Anfang Mдrz begannen die angekohlten verbrannten Bдume
neues Laub zu tragen; hellgrьne Blдttchen wagten sich hervor. So nahe
dem Tod wurde es doch ьber allem unendlichen Grauen noch einmal
Frьhling. Weiяer Flieder duftete in den Gдrten der zerstцrten Hдuser.
Kastanienbдume steckten wieder trotz allem ihre weiяleuchtenden Kerzen
auf... Und in diesem stдrksten Zeugnis, das das weiterschreitende,
weiterwirkende Leben geben konnte, lag etwas Milderndes und
Versцhnliches, lag die Verwandlung des fressenden ohnmдchtigen Hasses in
eine weite Trauer, in ein Sichfьgen, in eine Ahnung dessen, was ewig ist.
Man sah nicht allein mehr die dunklen, anklagenden Trьmmer. Man sah auch
die Zukunft wieder, das Kьnftige und Kommende, und lernte wieder zu
glauben, in der grцяten, in der tiefsten Not. Wie einen Mantel, wie ein
schьtzendes, schirmendes, duftendes Tuch breitete die Natur ihren
sonderbarsten Frьhling ьber die abertausend noch immer blutenden Wunden
der Stadt. Dresden war nicht tot. Dresden konnte nicht sterben. Das bewies
dieser Frьhling und bewies der Menschen neu erwachsender Wille und ihre
unerschьtterliche Zuversicht. Ч Das Leben verweilt an seinen Grдbern.
Aber es bleibt nicht stehen. Aus seinen hдrtesten Schmerzen reift der
hдrteste Wille: Sieg oder Untergang! Lesen
wir derartige Berichte aus der menschengemachten Kriegs- Hцlle heute, so
bewundern wir einerseits diese Menschen von damals, blicken aber - von
daher - mit einer gewissen Distanz, ja vielleicht sogar mit einer gewissen
Verachtung auf eine tumbe heutige Menschheit, die sich die Leiden und
Opfer jener Einwohner deutscher Stдdte nicht mehr vergegenwдrtigen, ihr
Andenken und ihre Leistung nicht ehren will. Wir blicken mit Verachtung
auf jene, die ihren Lebenssinn in Spiel und Spass und Tollerei suchen und
dabei vergessen, vergessen wollen, was einst Menschen ihres Alters
durchmachen mussten - ohne jeden Spass, in bitterem Ernst und immer an dem
Rand des Lebens. УWir amьsieren uns zu TodeФ heisst das Buch eines
Amerikaners. An diesen hier aufgezeigten Beispielen erkennen wir die
bittere Wahrheit dieser Aussage. |