Augenzeugenbericht einer jungen Frau.

 

Nach gegebenem Alarm suchten wir sofort unseren Keller auf, muяten denselben aber Stunde nach Einsetzen des Bombardements verlassen, da bereits dichter Qualm in unseren Schutzraum eindrang. Der Hofausgang unseres Kellers war bereits verschьttet, also hieя es wohl oder ьbel den Hauseingang benutzen. Das Verlassen des Kellers verlief trotz der Schwere des Unglьcks vollkommen diszipliniert und ohne jede Panik, jeder war ernst und gefaяt. Das Haus brannte lichterloh vom Boden bis zur Haustьr. Drauяen war bereits die Hцlle los. Die Losung lautete: Deckung, Deckung. Wir sind deshalb in eine kleine Bedьrfnisanstalt geflьchtet. Dieselbe besteht aus einem Vorraum, drei Toiletten und einem Wдrterzimmer. Die Auяentьr zu dieser Anstalt war bereits herausgeschleudert worden. Nach wenigen Minuten war die gesamte Toilette von flьchtenden Menschen (ca. 80 bis 100 Personen) ьberfьllt. Mein Mann und ich hatten in der mittleren Toilette Unterschlupf gefunden.

 

In den ersten 10 Minuten war die Luft noch ertrдglich, doch dann wurde es heiяer und heiяer. Die ersten Schreie ДWir erstickenУ und ДWasser, WasserУ tцnten auf. Was sollten wir tun? Sollten wir den Erstickungstod erleiden oder drauяen in dem Flammenmeer umkommen? Mein Mann tat das nдchstliegende. Er stellte sich auf den Beckenrand des Klosetts und untersuchte den Wasserkasten. Zur groяen Freude aller war in diesem Kasten Wasser, die beiden Kдsten in den anderen Toiletten fielen aus. Mein Mann hat dann ungefдhr eine halbe Stunde auf dem Beckenrand gestanden und nur Tьcher naя gemacht, ohne dabei an sich selbst zu denken, obwohl die Luft unter der Decke brennend heiя war. Groяe Tьcher, die man ihm hinreichte, zerteilte er mit seinem Taschenmesser, damit jeder eins abbekam. Wir alle hofften nun, daя das schlimmste ьberstanden sei, denn nur Wasser und nochmals Wasser konnte unsere Rettung sein.

 

Aber es sollte noch viel schlimmer kommen. Zu unserer aller Unglьck fiel ein groяer Phosphorkanister direkt auf die Schwelle des Klosetteingangs - die Tьr fehlte schon. Der Menschen in dem Vorraum bemдchtigte sich eine nicht zu beschreibende Panik. Als Deckung wurden die inneren Toilettentьren herausgerissen und vor den Kanister gestellt. Nach einigen Minuten brannten auch diese lichterloh.

 

Fьrchterliche Szenen spielten sich ab, sahen wir doch alle unseren sicheren Tod vor Augen, denn der einzige Ausgang war ein Flammenmeer und wir waren gefangen wie die Maus in der Falle. Die Tьren wurden von den schreienden Menschen in den Kanister geworfen und noch mehr Qualm und Hitze drangen ein. Wдhrenddessen war das Wasser im Kasten auch ausgegangen. Mein Mann durchschlug nun mit letzter Kraft mit seinem Taschenmesser das zum Kasten fьhrende Rohr in der Annahme, daя noch Wasser kдme. Er wollte dann alles ьberspьlen. Leider vergebens. Er war jetzt vollkommen fertig, und wir hockten uns neben das Becken. Die anderen Menschen im Vorraum setzten sich auch hin und wurden ohnmдchtig, um nie wieder zu erwachen. Drei Soldaten gaben sich den Gnadenschuя. Da die Flammen der inzwischen brennenden Menschen auf uns ьberzugehen drohten, bat ich meinen Mann, diese mit unserer Schlafdecke - neben unseren Papieren der einzige gerettete Gegenstand - auszuschlagen. Er war hierzu nicht mehr in der Lage. Unter Aufbietung meiner letzten Kraft habe ich es dann getan. Mein Haar begann zu sengen, und mein Mann lцschte es mir. Wir haben uns dann ein paar Augenblicke ьber dem Becken gehangen und uns entschlossen, ungeachtet evtl. auftretender Krankheiten unsere Tьcher in dem Ausguя naяzumachen. Auch dieses Wasser war nach wenigen Minuten verdunstet. Was nun? Unser Herz ging rasend schnell, unsere Gesichter begannen aufzudunsen und die Ohnmacht war nicht mehr fern. Vielleicht noch 5, vielleicht noch 8 Minuten, dann war es auch bei uns vorbei.

 

Auf meine Frage: ДWilly, soll das das Ende sein?У faяte mein Mann den Entschluя, alles auf eine Karte zu setzen und unter allen Umstдnden ins Freie zu gelangen. Wir waren so oder so verloren. Ich nahm die Decke, mein Mann das Kцfferchen. Schnell und doch vorsichtig, damit wir auf den Leichen nicht ausrutschten, ging es ins Freie. Ich vorweg, mein Mann hinterher. Eins zwei drei waren wir durch das Flammenmeer. Es war geglьckt. Beide ohne Brandwunden, nur angebrannte Schuhe. Aber unsere letzte Kraft und unser letzter Mut waren fьr die erste Stunde dahin.

 

An einer Wasserstelle haben wir uns flach auf die Erde gelegt, da wenige Zentimeter ьber dem Boden noch Erstickungsgefahr drohte. Im Wasser liegende Menschen haben uns unsere Tьcher naяgemacht. Nach einigen Minuten legte sich eine Frau dazu, die meinem Mann fьr seine Aufopferung dankte. Dieselbe und noch einige andere Personen, die in der Toilette noch lebten, sind Ч unserem Beispiel folgend Ч auch noch aus der Bedьrfnisanstalt geflohen. Unserer Schдtzung nach dьrften nicht mehr als 10 bis 20 Menschen lebend herausgekommen sein.

 

Hier lag auch eine Frau, deren Arme und Beine genau da verbrannt waren, wo sie meines Erachtens nach seidene Bekleidung getragen hat. Die Hilfe- und Jammerschreie dieser Frau wurden unertrдglich, und so ist denn mein Mann wieder herumgelaufen und hat Bretter gesucht, um die verbrannten Glieder hцher zu legen und so Linderung zu verschaffen.

 

Gegen 9 Uhr wollten die schwimmenden Menschen aus dem Wasser. Aber wie? Das Bergungsmanцver war дuяerst schwierig, denn das Wasser stand sehr niedrig und zum Teil handelte es sich um korpulente Frauen, die wir nun, mein Mann. an der einen, ich an der anderen Seite, mit den Hдnden herauszogen. Schдtzungsweise haben wir 20 Menschen aus dem Wasser geholfen. U. a. war eine Frau dabei, die in den nдchsten Tagen ihrer Niederkunft entgegensah.

 

Da auch hier drauяen die Wassernot die grцяte aller Sorgen war, versuchten mein Mann und ich abwechselnd, mit einer schweren Eisenstange den Hydranten entzwei zu schlagen, um Trinkwasser zu erhalten. Doch dieses Unternehmen miяlang.

 

Sonderbar waren der Tag, der nach dieser Nacht heraufzog. Das Tageslicht kam nicht auf gegen den finsteren Qualm der Brдnde. Ein erregendes Zwielicht entstand und legte sich noch bedrьckender auf die herumirrenden Menschen. Ja, diese Menschengesichter! Grau, todmьde und trotzdem bis zum letzten angespannt; entzьndete Augen, borkige Lippen Ч und selbst in den Gesichtern kleiner Kinder etwas Greisenhaftes, keine Furcht eigentlich, etwas anderes, gleich der grenzenlosesten Erschцpfung.

 

Ich bin in der schweren Zeit nach jedem Angriff mit dem Fьhrer des Instandsetzungsdienstes im Wagen unterwegs gewesen. Wдhrend dieser Fahrten durch glьhende Straяenzьge spannte sich jeder Nerv. Sie waren nicht immer einfach und es gehцrten schon die Fahrkunst und die Unerschьtterlichkeit Dr. M.s dazu, um immer wieder heil dort herauszukommen, wo man sich nun wirklich rettungslos festgefahren hatte. Und es kam damals auf ein paar Trьmmer nicht an. Sie wurden genommen und Dr. M.s Wagen leistete Erstaunliches.

 

Aber manchmal ging es eben wirklich nicht mehr, dann muяte rьckwдrts gefahren oder auf unvergleichlich engem Raum gewendet werden, und manchmal war dann auch der hinter uns liegende Weg durch stьrzende Trьmmer fast unpassierbar geworden. Dort, wo es notwendig war, wurde angehalten. Einmal trafen wir ein paar verwirrte Menschen, die sich in eine Straяenbahn geflьchtet hatten. Rechts und links brannten die Hдuserreihen und so glaubten sie sich in der Mitte der Straяe am sichersten. Dr. M. holte sie heraus, rettete sie vor der furchtbaren Gewalt der Strahlhitze, sprach ihnen gut zu und brachte sie in einem glьcklicherweise dort stehenden Kraftwagen unter, den irgend jemand zu fahren verstand.

 

Dr. M. war ьberall. Und ьberall trafen wir auf vцllig verschmutzte Mдnner in zerrissenen, verbrannten Uniformen. Unerschьtterlich standen sie im Einsatz, wenn ihnen auch die ungeheure Erschцpfung von der Stirn abzulesen war. Aber wer kam in dieser Zeit auf den Gedanken, Rьcksicht auf sich selbst zu nehmen, da fьr Dresden alles auf dem Spiele stand. Aus vielen der inzwischen eingegangenen Erlebnisberichte ist zu entnehmen, was die Mдnner der Polizei, Polizeireserve und Luftschutzpolizei in diesen Tagen geleistet haben und wieviel tausend Menschen ihnen und ihrer rechtzeitigen Hilfeleistung das Leben verdanken. Was sie vollbracht haben, bezeugt die Tat.

 

Wo Dr. M. auftauchte, immer mit einem kernigen, gutgemeinten Wort, da strafften die Mдnner wieder die Rьcken. №berall war es das gleiche Bild. Er war auch nicht aus der Ruhe zu bringen und rettete jede Situation. In der brennenden Unterkunft der Technischen Nothilfe waren Fahrzeuge zu retten, unter anderen auch ein Raupenschlepper, der den Namen Уder wilde EselФ fьhrte, und das zu Recht. Inmitten von Glut, Rauch und unertrдglicher Hitze bemьhte sich der Fahrer diesen nach allen Seiten bockenden УEselФ in Sicherheit zu bringen. Aber erst, als Dr. M. sich als Lotse einschaltete, wurde es geschafft.

 

Unvergeяlich wird mir auch das folgende Erlebnis bleiben: Dr. M. hatte die Absicht, zur Unterstьtzung des Einsatzes der Feuerschutzpolizei nach dem ersten schweren Angriff die genaue Feuerlinie abzufahren und festzulegen. Also stiegen wir in den Wagen. Ich hatte eine Karte von Dresden auf den Knien. Dr. M. sagte die Straяen an und ich zeichnete unseren Fahrtweg ein. Wir hielten uns immer rechter Hand zum Feuer und fuhren so nahe heran, wie es irgend mцglich war, manchmal auch hinein; dann muяte mьhsam ein Rьckzugsweg gesucht und gefunden werden.

 

Die Fenster des Wagens waren fest geschlossen, damit Funkenflug und Strahlenhitze uns nicht gefдhrden konnten. Zwei lange Stunden waren wir unterwegs, fuhren vorbei an den Zьgen der Flьchtlinge, sahen Straяenzug um Straяenzug brennen und Haus um Haus vernichtet. Lдngst war es Morgen geworden, aber ьberall lastete auf den durchfahrenen brennenden Stadtteilen noch die Dunkelheit.

 

Irgendwo machte dann der Wagen zum erstenmal die tolle Fahrt nicht mehr mit. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen, der Aschenregen verschmierte die Fensterscheiben, und so war uns ein Mauerbrocken unter die Vorderrдder geraten, der sich trotz aller Mьhe, allen Schiebens und Stoяens nicht beseitigen lieя. Hдtte Dr. M. einen krдftigen Mann und nicht ein Mдdchen in seiner Begleitung gehabt, dann wдre alles vielleicht einfacher gewesen. So versuchten wir also mit vielem Kraftaufwand den Wagen in einige Sicherheit zu zerren und setzten dann unseren Weg zu Fuя fort; die wertvolle Karte hatte ich, um sie vor dem steten Funkenregen zu schьtzen, in meine Uniform geschoben.

 

Dr. M. trug unsere Stahlhelme und Gasmasken. Die abgeschlossene eilige Meldung brannte Dr. M. in den Hдnden. Wie aber jetzt irgendwo an ein Fahrzeug herankommen, das uns zur Befehlsstelle zurьckbrachte. Schlieяlich stieяen wir auf ein LS-Revier und bekamen dort nach kurzer Hin- und Widerrede zwei Fahrrдder. Auf Rдdern ging es weiter, dauernd den sicheren Plattfuя vor Augen, ьber Trьmmer, an herunterhдngenden Drдhten vorbei, unter brennenden Hдusern hindurch. Alles ging solange verhдltnismдяig gut, bis wir an eine Brьcke kamen, die zerstцrt war. Die Rдder muяten liegengelassen werden, irgendein LS-Pol.-Mann wurde beauftragt, sie zurьckzubringen, und dann kletterten wir die Bцschung hinunter, ьber die einstmals die Brьcke gefьhrt hatte, und stiegen an der anderen Seite wieder hinauf.

 

Ein ganzes Stьck ging es zu Fuя weiter, bis Dr. M. einen allerdings vollbesetzten Wagen erspдhte, der von einem politischen Leiter gefahren wurde. Der Wagen muяte anhalten, nach einer kurzen Erklдrung drдngten wir uns auch noch hinein und dann ging es zum Bunker, wo Dr. M. dem General seine Meldung zur sofortigen Auswertung ьberreichte.

 

Nach dem zweiten schweren Angriff trat ein fьr Dresden erstmaliges Ereignis ein: Leichen von Menschen, die versucht hatten, noch aus dem Flammenmeer zu entkommen und ihre Schutzrдume verlassen hatten, bedeckten zu Hunderten die Straяen.

 

Welche Ursache ihnen den Tod gebracht hat, ist bis heute noch nicht ganz geklдrt. Ich sah diese Bilder zum erstenmal, als wir uns aufmachten, um zwei meiner Kameradinnen zu suchen, die mitten im Feuersturmgebiet gewohnt und dort den Tod gefunden hatten, als sie nach dem anstrengenden Dienst der vorangegangenen Tage und Nдchte fьr diese eine Nacht nach Hause fuhren, um sich einmal auszuschlafen. Wir haben sie nie wieder gesehen.

 

Die Hitze der immer noch glimmenden Feuer lag ьber der toten Stadt. Schwer mischte sich der Brandgeruch mit dem sьяlichen Dunst der Verwesung. Ruinen, Ruinen Ч so weit das Auge sah. Trьmmer auf den Fahrbahnen, gestьrzte Fassaden, weit fortgeschleuderte Steinbrocken an Straяenrдndern, verkohlte Bдume, zerfetzte Gдrten. Darьber die weisse Februar-Sonne. Sie machte es noch deutlicher, dieses Bild unendlichen Jammers und grauenhafter Verwьstung. Immer behielt man das Krachen neuer Einstьrze und das Knistern der fressenden, unersдttlichen Brдnde im Ohr.

 

Arme, schцne, geliebte, geschundene Stadt! Wortlos blieb der Mund.

 

Heiя stieg es auf zu den entzьndeten, schmerzenden Augen. Dieses Bild schon genьgte, um das Herz fast unertrдglich zusammenzupressen. Was dann kam, war ohnmдchtiges schьttelndes Grauen. Die Straяe war voller Menschen. Sie hockten auf den Treppenstufen der Bцschung, sie saяen an Bдume gelehnt, sie lagen mit hilfeheischend aufgereckten Armen auf dem Pflaster. Tote, nur Tote. Viele von ihnen hatte die Glut in phantastische, irrsinnige Stellungen gezwungen. Langsam und wie an  Ketten ging der Blick von den verrenkten Gliedern zu den nicht mehr menschlichen, in ihrer Grauenhaftigkeit drohenden Gesichtern. Aufgerissene Mьnder, hervorgequollene Augen Ч Antlitze, aus denen in einem letzten, ungelцsten Krampf ein ungeheuer gewaltiger Schrei aufstieg in schmerzender bedrдngender Anklage.

 

Durch die Gassen der Toten fuhren wir weiter hinein in das Zentrum. Bald muяten wir den Wagen stehen lassen.

 

Den letzten Rest des Weges durch kleine, enge, verschьttete Straяen gingen wir zu Fuя, kamen auf einem kleinen freien Platz. Niemals  mehr werde ich das Bild vergessen Ч dort ьberall lagen sie, hundert oder mehr, Mдnner und Frauen, Soldaten in Uniform, Kinder, Greise; viele hatten sich in der mordenden Glut und kurz vor ihrem Tode die Kleider vom Leibe gerissen. Sie waren nackt, ihre Kцrper schienen unversehrt, die Gesichter trugen friedliche Spuren eines tiefen Schlafes. Andere Leiber waren kaum noch zu erkennen, verkohlt, zerfetzt, mit zerschmetterten Hдuptern.

 

Wir gingen durch die Reihen der wahllos verstreut liegenden Leichen und suchten, suchten unsere Kameradinnen. Wir sahen in jedes Gesicht,  wie in einen Spiegel; einen Spiegel des Unfaяbaren, des Unbegreiflichen, der Ewigkeit. Was lag auf den Stirnen, was in den Augen, was hielten die verkrampften Hдnde, was riefen die geцffneten Lippen, was warf die Sonne noch ein letztes Glanzlicht auf aufgelцstes Haar?

 

Dort lag eine alte Frau. Ihr Gesicht war friedlich, weich und mьde. Weiяes Haar leuchtete. Ihr nackter ausgemergelter Kцrper lag in der Sonne, die er nicht mehr spьrte. Und dort Ч eine Mutter, an jeder Hand ein Kind. Sie lagen alle drei auf dem Gesicht, in einer fast anmutigen, gelцsten Bewegung. So hatte die Ohnmacht sie sinken lassen. Ihr Tod war unmerklich gekommen. Und dort Ч der Soldat, mit den verkohlten Stьmpfen der Beine. Dort die Frau mit dem zerrissenen Leib, auf dessen herausgequollenen Eingeweiden in blauen Trauben die Fliegen saяen. Und dort - das Kind, mit dem krampfhaft festgehaltenen Vogelbauer. Und dort losgelцst vom Kцrper - ein Knabenfuя in einem schwarzen Stiefel, eine kleine, braune Mдdchenhand mit einem blauen Ring...

 

Kein Herz kann schlagen bei solchem Sehen. Es zuckt und flattert, und nur die Furcht vor dem Schwindel hдlt gerade, die Furcht davor - ausgelцschten Bewuяtseins - mitten hineinzusinken in diese, in der Hitze flirrende, sich hebende und senkende Flut der Toten.

 

Wir gingen zurьck, als seien wir mit Mьhe entkommen; zurьck zu lebenden Menschen, zu Stimmen, zu unerstarrten Augen. Ich wдre gern gelaufen, schnell und atemlos, neu aufgerafft nach jedem Sturz ьber die hindernden Trьmmer. Frost kam mitten aus der grцяten Brand-Hitze des Tages und schьttelte. Der Geruch der Verwesung hing uns an, und wir trugen ihn mit in den Kleidern und im Herzen wohl auch.

 

In einer dieser kleinen engen Straяen stand vor einem der zusammengestьrzten Hдuser mit den verschьtteten Kellern ein Soldat und rief; immer wieder rief er mit einer selten fernen und hohen Stimme: ДMutti! Ч Ursula! Ч Mutti! ЧUrsula!У Mein Begleiter ging auf ihn zu und sprach ihn an. Hier konnte kein Leben mehr sein Hier war nur noch der Tod. Warum das Rufen? Ч Aber kann man das einem Menschen sagen, dem der Irrsinn aus den Augen sieht? Kann man diese kleine winzige, selbst nicht geglaubte Hoffnung noch rauben, an der ein Menschenherz sich mьhsam aufrecht hдlt? Kann man vom Tod noch sprechen, wo der Andere ihn schon weiя, und sich nur noch eine Weile, eine kleine Weile, bis alles ьberwunden ist, selbst betrьgen mцchte?

 

Der Soldat sah uns an, als seien wir Luft. Er sei auf Urlaub gekommen, heute. Er suchte seine junge Frau und sein Kind. Sie seien sicher im Keller und wьrden ihn hцren. Er wьrde sie schon ausgraben. Ja, sicher, er sei doch stark, und seine Frau warte auf ihn. Vorsichtig versuchten wir den Mann zu bewegen, daя er uns doch folgen und mit uns in die Stadt fahren mцge. Aber er hцrte uns gar nicht. Er wandte sich ab, und als wir weitergingen, weitergehen muяten, hцrten wir ihn noch lange hinter uns rufen: ДMutti! Ч Ursula!У

 

An einer anderen Straяenecke stand ein Mann und suchte unter den zusammengetragenen, aufgehдuften Leichen. Trдnen liefen ihm schwer und in kleinen Bдchen ьber ein vollstдndig unbewegtes Gesicht. Er war mit seiner Frau zusammen in der hцchsten Not aus dem Luftschutzraum geflьchtet. Sie hatten sich an der Hand gehalten. Dann war die Frau gestьrzt, und in irrsinniger, panischer Angst war der Mann davongelaufen, ohne sich umzusehen. Nun suchte er die Tote und fand sie nicht.

 

Kinder irrten und riefen nach den verbrannten Eltern. Mьtter saяen wie versteinert am Wegrand und warteten, daя man ihnen den Sohn bringen wьrde, oder die Tochter. Lange Wochen nach diesem fьrchterlichsten der Angriffe noch irrten sie herum und suchten und hofften und suchten - und waren wie aus Stein.

 

Groя und unbeschreiblich war das Elend der Toten. Unbeschreiblicher und mit keinem menschlichen Maя mehr zu messen, das der Lebenden. Sie hдtten gern getauscht und das Leben fьr den Tod gegeben. In ihren Augen stand es. Und wenn auch einmal diese Augen und Hдnde und diese Schritte aufhцren werden zu suchen, ihr Herz wird es nie.

 

Tag fьr Tag und Stunde um Stunde rollten die mit Chlorkalk weiя ьberstдubten Lastwagen mit ihrer schaurigen Fracht dem Altmarkt zu, wo sie in einem grossen Haufen verbrannt wurden. Die Reste wurden spдter, zusammen mit weiteren, unter den Trьmmern geborgenen Leichen, in einem groяen Massengrab bestattet. Hunderte, Tausende, Zehntausende wurden dicht an dicht gelegt. Mit nackten Oberkцrpern standen Ostarbeiter und KZ-Hдftlinge und gruben und gruben in der sengenden, vergifteten Hitze, und ihre Spaten waren nicht schnell genug, allen denen Platz zu schaffen, die kamen und kamen... Wacholderbьsche wurden verbrannt und warfen ihren scharfen, stechenden und so wohltuenden Geruch ьber die gefьllten Gruben. Nicht einmal die furchtbarste Seuche der vergangenen Jahrhunderte, nicht einmal die Pest schlug in einer einzigen Nacht Zehntausende zu Tode.

 

Tag fьr Tag und Stunde um Stunde bargen die Mдnner der Luftschutzpolizei mit den ihnen zur Hand gegebenen KZ-Hдftlingen die Leichen. Zuerst wurden die Toten von den Straяen gerдumt, dann begann man die offenen und leicht zugдnglichen Luftschutzkeller zu leeren, in denen die Menschen in den Tod, dem sie nicht mehr rechtzeitig durch die gewaltigen Flдchenbrдnde zu entfliehen wagten, hineingeschlafen waren. Dort, wo das Kohlenoxyd wirksam gewesen war, saяen die Menschen friedlich um den Tisch und lagen ebenso friedlich auf den Luftschutzbetten. Dort, wo das Feuer in die Luftschutzrдume eingedrungen war, wurden verkohlte №berreste, Knochen und Asche geborgen. Grauenhafte Szenen der Verzweiflung und wildester Raserei mьssen sich hier abgespielt haben; Szenen, von denen sich wahrscheinlich niemand ьberhaupt ein Bild machen kann.

 

Leichen fanden sich in den sorglich durchsuchten Randtrьmmern. №berall Leichen, ьberall Tod. Viele Mдnner der Polizei und Luftschutzpolizei haben wir gesprochen, die inmitten der geborgenen Leichen plцtzlich auf irgendeine wiesen und sagten: ДDas war meine Frau!У Ч ДDas war meine Mutter!У Ч ДDort liegen meine Schwiegereltern!У Dieses Leid fand keine Worte der Klage mehr.

 

Wie ein Alpdruck hat es damals ьber uns allen gelegen. Auch die, die selbst in diese Gebiete nicht gekommen waren, spьrten ьberall den Tod. Das Atmen wurde schwer.

 

Neben dem Tod aber stand das Leben. Es geschah ein Wunder in der Дtoten StadtУ: Ende Februar, Anfang Mдrz begannen die angekohlten verbrannten Bдume neues Laub zu tragen; hellgrьne Blдttchen wagten sich hervor. So nahe dem Tod wurde es doch ьber allem unendlichen Grauen noch einmal Frьhling. Weiяer Flieder duftete in den Gдrten der zerstцrten Hдuser. Kastanienbдume steckten wieder trotz allem ihre weiяleuchtenden Kerzen auf... Und in diesem stдrksten Zeugnis, das das weiterschreitende, weiterwirkende Leben geben konnte, lag etwas Milderndes und Versцhnliches, lag die Verwandlung des fressenden ohnmдchtigen Hasses in eine weite Trauer, in ein Sichfьgen, in eine Ahnung dessen, was ewig ist. Man sah nicht allein mehr die dunklen, anklagenden Trьmmer. Man sah auch die Zukunft wieder, das Kьnftige und Kommende, und lernte wieder zu glauben, in der grцяten, in der tiefsten Not. Wie einen Mantel, wie ein schьtzendes, schirmendes, duftendes Tuch breitete die Natur ihren sonderbarsten Frьhling ьber die abertausend noch immer blutenden Wunden der Stadt. Dresden war nicht tot. Dresden konnte nicht sterben. Das bewies dieser Frьhling und bewies der Menschen neu erwachsender Wille und ihre unerschьtterliche Zuversicht. Ч Das Leben verweilt an seinen Grдbern. Aber es bleibt nicht stehen. Aus seinen hдrtesten Schmerzen reift der hдrteste Wille: Sieg oder Untergang!

 

 

Lesen wir derartige Berichte aus der menschengemachten Kriegs- Hцlle heute, so bewundern wir einerseits diese Menschen von damals, blicken aber - von daher - mit einer gewissen Distanz, ja vielleicht sogar mit einer gewissen Verachtung auf eine tumbe heutige Menschheit, die sich die Leiden und Opfer jener Einwohner deutscher Stдdte nicht mehr vergegenwдrtigen, ihr Andenken und ihre Leistung nicht ehren will. Wir blicken mit Verachtung auf jene, die ihren Lebenssinn in Spiel und Spass und Tollerei suchen und dabei vergessen, vergessen wollen, was einst Menschen ihres Alters durchmachen mussten - ohne jeden Spass, in bitterem Ernst und immer an dem Rand des Lebens. УWir amьsieren uns zu TodeФ heisst das Buch eines Amerikaners. An diesen hier aufgezeigten Beispielen erkennen wir die bittere Wahrheit dieser Aussage.

Zurьck

 

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