Dieser
Text der "Linksextremistin" Ulrike Meinhof, die aber heute
eine von uns wдre, aus dem Jahr 1965 verdeutlicht, wie moralisch tief
jene gesunken sind, die fьr den Bombenholocaust von Dresden heute auch
nur die geringste Rechtfertigung finden kцnnen. Im Jahre 1965 war
dieses geistlos-charakterlose Tieffliegertum allerdings auch noch
unvorstellbar.
Dresden.
Ulrike M. Meinhof
Vor zwanzig Jahren, am 13. und 14. Februar 1945, in der Nacht von Fastnachtdienstag auf Aschermittwoch, ist der grцяte Luftangriff der alliierten Bomberkommandos im Zweiten Weltkrieg auf eine deutsche Stadt geflogen worden: Der Angriff auf Dresden. Dreimal innerhalb von 14 Stunden wurde die Stadt bombardiert. Von 22 Uhr 13 bis 22 Uhr 21 dauerte der erste Schlag. Als die englischen Bomber abflogen, hinterlieяen sie ein Flammenmeer, das ьber 80 Kilometer weit den Himmel glьhend machte. Der zweite Schlag erfolgte von 1 Uhr 30 bis 1 Uhr 50. Die abfliegenden Bomber haben die Feuer von Dresden ьber 300 Kilometer weit beobachten kцnnen. Den dritten Angriff flog ein amerikanisches Bombengeschwader am nдchsten Vormittag zwischen 12 Uhr 12 und 12 Uhr 23.
№ber 200 000 Menschen sind in den Flammen von Dresden umgekommen. Der Englдnder David Irving schreibt in seinem Buch "Der Untergang Dresdens": "Zum ersten Mal in der Geschichte des Krieges hatte ein Luftangriff ein Ziel so verheerend zerstцrt, daя es nicht genьgen unverletzte №berlebende gab, um die Toten zu begraben."
Dresden hatte 630 000 stдndige Einwohner. Als es zerstцrt wurde, hielten sich ьber eine Million Menschen in dieser Stadt auf. Man schдtzt 1,2 bis 1,4 Millionen. Flьchtlinge aus Schlesien, Pommern und Ostpreuяen, Evakuierte aus Berlin und dem Rheinland, Kindertransporte, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter. Dresden war eine Sammelstelle fьr genesende und verwundete Soldaten. Dresden hatte keine Rьstungsindustrie. Dresden war eine unverteidigte Stadt ohne Luftabwehr. Dresden galt in ganz Deutschland als eine Stadt, die nicht bombardiert werden wьrde. Es gab Gerьchte, wie: Die Englдnder wьrden Dresden schonen, wenn Oxford nicht angegriffen wьrde - oder: Die Alliierten wьrden Dresden nach dem Krieg zur deutschen Hauptstadt machen und deshalb nicht zerstцren. Es gab noch mehr Gerьchte, aber vor allem konnte sich kein Mensch vorstellen, daя eine Stadt, die tдglich neue Krankenhдuser und Lazarette einrichtete, in die tдglich Hunderttausende von Flьchtlingen, hauptsдchlich Frauen und Kinder, einstrцmten, bombardiert werden wьrde.
Militдrisch interessant an Dresden war hцchstens ein grцяerer Gьter- und Truppenumschlagbahnhof. Aber in den drei Angriffen, als man zuerst Sprengbomben abwarf, um Fenster zum Platzen zu bringen und Dдcher zum Einsturz, um Dachstьhle und Wohnungen den folgenden Brandbomben um so schutzloser auszuliefern, als das alles planmдяig mit hцchster Prдzision ablief, da wurde dieser Bahnhof kaum getroffen. Als Tage darauf Berge von Toten aufgeschichtet wurden, waren die Gleise schon wieder repariert. - Dresden hat sieben Tage und acht Nдchte lang gebrannt.
Man hatte den englischen Soldaten, die die Angriffe geflogen haben, nicht die Wahrheit gesagt. Man hat gesagt: Ihre Flotte greift das Oberkommando des Heeres in Dresden an. Man hat gesagt, Dresden sei ein wichtiges Nachschubzentrum fьr die Ostfront. Man hat gesagt, das Angriffsziel sei ein Gestapo-Hauptquartier im Stadtzentrum, ein wichtiges Munitionswerk, ein groяes Giftgaswerk. -
Schon 1943 hatte es in der britischen ÷ffentlichkeit Proteste gegen die Bombardierung der deutschen Zivilbevцlkerung gegeben. Der Bischof von Chichester, der Erzbischof von Canterbury, der Kirchenprдsident der Church of Scotland erhoben ihre Stimme. Ihnen aber ebenso wie einem Labourabgeordneten im englischen Unterhaus wurde gesagt, das sei nicht wahr, das ein Befehl ergangen wдre, Wohngebiete statt Rьstungszentren zu zerstцren. Es ist der englischen Regierung unter ihrem Premierminister Sir Winston Churchill bis zum Ende des Krieges, bis Mдrz 45, gelungen, den tatsдchlichen, absichtlichen, planmдяigen Charakter der britischen Bombenangriffe auf deutsche Stдdte geheimzuhalten. Dresden war der Hцhepunkt dieser Politik. Dresden ging in Schutt und Asche, zwei Jahre nachdem der Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Stalingrad entschieden worden war. Als Dresden bombardiert wurde, standen die sowjetischen Truppen schon an der Oder und Neiяe, lag die Westfront am Rhein.
Der Oberbefehlshaber der Royal Air Force, Sir Arthur Harris, der den Einsatz gegen Dresden geleitet hatte, ging ein Jahr danach, am 13. Februar 1946, in Southhampton an Bord, um das Land zu verlassen, das nicht mehr bereit war, seine Verdienste zu wьrdigen. Als die deutsche Bevцlkerung die Wahrheit ьber Auschwitz erfuhr, erfuhr die englische Bevцlkerung die Wahrheit ьber Dresden. Den Tдtern wurde der Ruhm versagt, der ihnen von den Regierenden versprochen worden war. Hier und dort.
In Dresden ist der Anti-Hitler-Krieg zu dem entartet, was man zu bekдmpfen vorgab und wohl auch bekдmpft hatte: Zu Barbarei und Unmenschlichkeit, fьr die es keine Rechtfertigung gibt.
Wenn es eines Beweises bedьrfte, daя es den gerechten Krieg nicht gibt - Dresden wдre der Beweis. Wenn es einen Beweises bedьrfte, daя der Verteidigungsfall zwangslдufig zu Aggression entartet - Dresden wдre der Beweis. Wenn es einen Beweises bedьrfte, daя die Vцlker von den kriegsfьhrenden Regierungen selbst miяbraucht werden - Dresden wдre der Beweis. Daя an der Bahre Sir Winston Churchills das Stichwort Dresden nicht gefallen ist, legt den Verdacht nahe, Dresden sollte immer noch dem Volk angelastet werden, das doch selbst betrogen worden ist. Es ist der gleiche Takt, den die Bundesregierung praktiziert, wenn sie die Verjдhrungsfrist fьr in der NS-Zeit begangenen Mord nicht aufhebt. Wer die Tдter nicht denunziert, denunziert aber die Vцlker.
aus: Ulrike Marie Meinhof: Die Wьrde des Menschen ist antastbar. Aufsдtze
und Polemiken. Berlin: Wagenbach, 1986.
(konkret, Nr. 3, 1965)
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